Sonntag, 01.11.87 (21)

Hurra, ich habe es geschafft, ich bin mit meinem Tagebuch auf dem Laufenden. Die Tage zuvor hatte ich jeweils nur Notizen gemacht und sie nach und nach aufgearbeitet. Aufgestanden waren wir um halb vier, anschließend eine Tasse Kaffee und eine Tasse Tee getrunken. Dann kam der Anruf, dass das Flugzeug noch nicht in Molodjoshnaja gestartet sei. Also wieder warten. Alle sind müde. Über gestern war noch zu berichten, dass die Inder wieder mal vorbeikamen. Sie sind bei unserer Leitung offensichtlich nicht gern gesehen. Die Sache mit der internationalen Zusammenarbeit ist nur ein Lippenbekenntnis.
Die Diskussionen der letzten Tage waren befremdlich. Einerseits wird von Stationserweiterung und Verlegung gesprochen, zum Anderen wird eindeutig gesagt, daß die wissenschaftliche Arbeit völlig unwichtig und nebensächlich ist und eigentlich keine Ergebnisse bringt. Wichtig ist nur die Anwesenheit, um Ansprüche für spätere Zeiten anzumelden. Im Grunde würde es reichen, mit drei Mann die Station zu betreiben, zu funken und für Kontrollen zwei oder drei Geräte zu haben, die piepen und ein paar Lämpchen blinken lassen. Zum Glück wurden aber bisher ordentliche Programme durchgeführt.
Draußen wurde immer noch die ATT vorgewärmt und wir warteten auf das Flugzeug. Gegen 6 Uhr war es dann endlich soweit. Eingepackt in die Kajeschka, eine mit Kamelhaar gefütterte sowjetische Polarbekleidung, zusätzlich noch die Lederjacke darunter, ausgerüstet mit allen Fotoapparaten ging es los. Ich fuhr vorn als vierter Mann mit in der Fahrerkabine. Es war zwar sehr eng, aber dafür etwas wärmer. Das Wetter war trübe und der Wind heftig bei Temperaturen von -15°C. Auf dem Flugplatz angekommen besichtigten wir erst einmal die im Schnee versunkenen Behausungen der Flugplatzbesatzung. Es sah alles sehr unordentlich und auch schmutzig aus. Ich wollte hier nicht leben.
Kurz vor der Landung der IL 76 ging ich die Landebahn in Richtung Aufsetzpunkt, um gute Fotos zu schießen. Leider fehlte mir ein Teleobjektiv, um wirkungsvolle Aufnahmen zu machen. Man sah die Maschine rechtzeitig kommen, sie setzte aber zu weit entfernt auf. Dann begannen die Ladearbeiten. Das Wetter verschlechterte sich von Minute zu Minute. Wir beeilten uns sehr, denn die Maschine musste unbedingt wieder starten, da sie in Neulasarew nicht wieder vorgewärmt werden konnte. Einmal liegengeblieben würde sie nie wieder starten können.
Bei Schneefegen und Wind von 20 m/s startete sie wieder. Der Pilot brachte sie mit Gewalt auf extrem kurzer Strecke in die Luft, da er kaum die Rollbahn sehen konnte.
Die Rückfahrt verschaffte uns einen ersten Eindruck, was Schneesturm in der Antarktis bedeutete. Wir klebten förmlich an dem vor uns fahrenden Fahrzeug, um es nicht zu verlieren. Die Fahrspur und die Markierungsfässer waren zeitweise nicht mehr zu sehen. Wir mussten die Frontscheibe aufklappen und sahen entsprechend weiß aus. Wir waren doch froh, als wir endlich wieder in der Station waren.
Da wir auch Material für die sowjetische Station geladen hatten, fuhren wir mit hoch und halfen beim Entladen. Anschließend gab es Tee. In unserer Station wurde dann noch einmal Kaffee gekocht.
Nach dem Mittagessen ging ich zu den Funkern, um mein zweites Telegramm abzugeben und nach Telegrammen zu fragen. Es war wieder nichts für mich da. Ich werde bis zum Ende der Woche warten, dann muss ich sowieso Geburtstagstelegramme für Kathrin und Oma schicken. Dann werde ich dort mal anfragen, was los ist.
Nachmittags wieder Kaffeetrinken und vor dem Abendbrot Tischtennis.

Montag, 2.11.87 (22)

Eine neue Woche hat begonnen und langsam finde ich mich in die regelmäßigen Arbeiten rein. Nach dem Frühstück, das diesmal etwas spärlicher ausgefallen ist, habe ich aufgetankt und die üblichen Kontrollen gemacht. Da mittags die Umschaltung auf den anderen Generator fällig war, haben wir dort noch den Keilriemen nachgespannt. Die Arbeiten vor der Umschaltung und die Umschaltung selbst nahm ich vor. Es lief gut.
Beim Mittagessen wurden wir von der Mitteilung überrascht, dass ein Mann zum Kartoffelschälen benötigt wurde. Ich meldete mich, da ich nichts Spezielles vorhatte und einmal ist man sowieso dran, warum also nicht gleich. Das Verfahren ist einfach. Die völlig gefrorenen Erdäpfel werden in einen Topf mit warmen Wasser geworfen und anschließend wird die angetaute Schicht entfernt oder die ganze Kartoffel wird weggeschmissen. Einige Exemplare hatten bereits angefangen zu gären. Der Alkoholgeruch war nicht zu verleugnen. Wie das trotz des Frostes passieren konnte, habe ich nicht verstanden. Für zwei große Töpfe voll benötigten wir jedenfalls drei Kisten Kartoffeln. Mit 5 Mann war die Sache in eineinhalb Stunden erledigt.
In der Station gab es anschließend Kaffee. Dann machten Hans und ich einen Rundgang, bei dem mir Hans alles zeigte, was wir an Material draußen hatten und wie das Umtanken der Kraftstoffbehälter vorgenommen wird. Nach dem Abendessen spielten wir noch Tischtennis, d. h. Steffen, Hans und ich in gemischten Mannschaften. In dieser Zeit kam noch die Ankündigung für den nächsten Pochod, der in drei Tagen starten soll. Dort wird noch Hans mitfahren.
(Der Begriff Pochod wird in der russischen Sprache oft verwendet. Es bedeutet in erster Linie Reise und wird für alle längeren Unternehmungen gebraucht, bei denen größere Strecken zurückgelegt werden. In unserem Fall waren es die regelmäßigen Fahrten zur Küste, wo das von den Schiffen abgeladene Material lagerte, um dieses dann zu den Stationen zu schaffen.)
Abends gab es Kino in unserer Station, und zwar einen sowjetischen Film in Originalsprache. Da ich nichts verstand und der Film wegen zahlreicher Risse in Abschnitten von 30 bis 300 Sekunden gezeigt wurde, bin ich geflüchtet und schreibe lieber mein Tagebuch.
Ein Telegramm kam heute wieder nicht. Wenn ich davon ausgehe, dass das erste eventuell nicht angekommen ist, müsste auf das zweite die Antwort ungefähr am Donnerstag kommen. Also noch drei Tage. Dann wird es auch Zeit für die Glückwunschtelegramme an Kathrin und Oma. Mir ist noch eingefallen, dass das erste Telegramm nicht vom Stationsleiter abgezeichnet war. Vielleicht lag es daran. Ich weiß allerdings nicht, wie es Steffen gemacht hat. Er hat Antwort bekommen, aber fragen möchte ich ihn nicht. Ich hoffe nur, dass zu hause alles in Ordnung ist.
Die Sache mit den Telegrammen liest sich jetzt vielleicht recht leicht und man kann kaum begreifen, was derartige Aktionen für Auswirkungen haben. Hält man sich aber vor Augen, dass man über zehntausend Kilometer von zu hause für 16 Monate festsitzt und keine andere Möglichkeit der Kommunikation bleibt, dann sieht das doch etwas anders aus. Dazu kommen dann noch die hübschen Geschichten von Vorfällen in der Heimat während vorangegangener Expeditionen, die einen auch nicht gerade aufbauen. Da hilft nur ein festes Vertrauen in seinen Partner.

Montag, 3.11.87 (23)

Der Morgen begann wie gewöhnlich. Am Ende des Frühstücks musste ich mit Reiner eine Diskussion führen bzw. ihm einige Dinge sagen, deren Ursache in Vorgängen des gestrigen Abends lag.
Am 7.11. begeht die SU ihren Nationalfeiertag und wir, d. h. die Leitung, äußerten die Absicht, jedem SU-Mitglied der Station ein Geschenk zu machen. Da vom ZIPE keine Geschenke mitgeschickt wurden, wurden von uns je 9 Briefumschläge abgefordert, und zwar zwischen Tür und Angel. Da wir sie nicht zurückbekommen werden, habe ich Reiner gesagt, dass er mit solchen Dingen nicht mehr zu mir zu kommen braucht. Ich empfinde es als Zumutung, mit meinem persönlichen Eigentum für Dinge gerade zu stehen, die die Polarforschung verbockt hat.
Vormittags habe ich dann mit Hans an der ATT gearbeitet, Keilriemen vom Verdichter nachgespannt, Kettenbolzen gewechselt. Ich habe mir dann noch einige Dinge erklären lassen. Dabei stellte ich fest, dass Hans einige Sachen von Gerald übernommen hat und sie weitergibt, ohne Sinn und Zusammenhänge erklären zu können. Ich habe immer Probleme mit Arbeiten, wenn ich nicht weiß, warum etwas erledigt werden muss, da man dann bestimmte Auswirkungen nicht abschätzen kann
Bei der Kontrolle der DES fiel mir auf, dass der Anlasser von Generator C nicht ordnungsgemäß arbeitete. Bei der Überprüfung stellte sich heraus, dass die zweite Batterie nicht geladen wurde. Ich meine den Fehler jetzt eingekreist zu haben. Offensichtlich ist der Umschalter für Parallel- und Reihenschaltung der Akkus defekt. Es hat sehr lange Zeit gedauert, diese Sache Hans klarzumachen und zu beweisen. Diese Dinge scheinen nicht seine Welt zu sein. Nachmittags pumpten wir noch Kraftstoff um. Dabei gab es auch Differenzen bei der Bewertung der Größe der Tanks. Hans übernimmt blindlings alles von Gerald, seinem Vorgänger, ohne nachzudenken und zu prüfen. Ein Tank von 1x2x2 m hat nun einmal ein Volumen von 4 m³ und nicht von 2 m³.
Abends wurde wieder ein Film gezeigt, diesmal ein Musikfilm aus Riga, der schon mehr unserem mitteleuropäischen Geschmack entsprach. Die Kommentare beim Erscheinen leichtbekleideter Damen brauche ich hier nicht wiederzugeben, sie waren zumeist unsachlich und dem langen Aufenthalt in der Antarktis geschuldet Der Film war jedenfalls über weite Strecken sehr poetisch und gut fotografiert.
Heute kam zwar auch kein Telegramm, da ich mich aber mit dem Gedanken abgefunden habe, dass das erste entweder auf dem Hin- oder auf dem Rückweg verloren gegangen ist, erwarte ich weitere Nachricht erst am Donnerstag und bin daher im Moment recht ruhig. Tagsüber hat man seine Arbeit und denkt nicht daran.
Es ist wieder Sturm, 27 m/s. Der Heimweg wird wieder unangenehm werden.

Die Nachrichtenübermittlung mittels Telegramm war sowieso gewöhnungsbedürftig. Sehr persönliche Worte vermeidet man automatisch, da die Telegramme vom Stationsleiter abgezeichnet werden und man bestimmte Dinge lieber für sich behalten will. Das wird sich erst mit den Briefen, die mit dem Schiff mitgehen, ändern. Leiden dürften darunter in erster Linie die Angehörigen zu hause.

Mittwoch, 4.11.87 (24)

Hurra, Hurra, das erste Telegramm ist angekommen. Ich hätte heulen können vor Freude. Ingrid hatte bereits am 26. telegrafiert, das Telegramm ist offensichtlich auf der Strecke geblieben. Ich glaube, beim ersten ist es am schlimmsten. Ich merke aber auch, dass es den Altteingesessenen auch so geht. Es ist aber doch eine neue Erfahrung, auf die ich aber auch nicht verzichten möchte.
Ansonsten gibt es nicht viel zu berichten. Vormittags Ölwechsel und Umschalten der Generatoren, Durchsicht der technischen Unterlagen und Fehlersuche wegen der falschen Batterieladung. Die Ursache ist klar, der Umschalter ist defekt. Momentan funktioniert es wieder mal. Wir haben auch keine Ersatzteile. Hans lässt sich aber nicht belehren, das Ladegerät anders anzuklemmen. Bei der von mir vorgeschlagenen Art würde man einen Fehler im Umschalter sofort bemerken. Dadurch bin ich ja auch darauf gekommen und konnte entsprechende Maßnamen einleiten. Ergebnis der nicht vorgenommenen Änderung war, dass von einer Batterie zwei Zellen tot sind. Theorie und Logik sind nicht seine Sache. Es gibt noch weitere Probleme mit der Technik. Es fehlen etliche Unterlagen und der Rest muss gesichtet und sortiert werden, damit man bei Bedarf schnellen Zugriff hat. Auch werde ich mir einige Dinge des täglichen Ablaufes notieren müssen, schließlich bekomme auch ich eines Tages einen Nachfolger.
Ansonsten ist Hans ein wirklich netter und hilfsbereiter Mensch. Für meinen ersten Ölwechsel bekam ich von ihm ein Stück Rosenquarz.
Heute bezog ich mit Steffen unser endgültiges Sommerquartier, ein Wohncontainer 10 m von der Station entfernt. Er ist nicht ideal, aber annehmbar. Wir fanden noch ein bezogenes Bett vor. Eine Nachfrage bei Reiner ergab, dass es das von Prof. Kauzleben war und er, Reiner, nicht wusste, was er damit machen sollte. Auf die Idee, es abzuziehen, kam er nicht. Wir haben es dann gemacht, aber manchmal kann man sich doch wundern.
Nach dem Abendessen habe ich dann noch ein 15kg-Paket Butter nach hause getragen. Ich war mit dem Paket schneller als Reiner ohne. Er hat fürchterlich geschwitzt und sich gewundert. Man muss aber auch sagen, dass er sich anerkennend äußerte. Das ist hier überhaupt das Außergewöhnliche. Bei allen Differenzen herrscht kameradschaftliches Handeln vor. Um die Arbeit reißt man sich förmlich. Ich bereue keine der Stunden hier. Übrigens ist die Butter hier vorzüglich, dänisch und ohne Wasser und sonstige Zumischungen. Zum Abendbrot gab es frisch gebackenes Weißbrot und wir haben gefressen statt gegessen.
Jetzt sitzen wir hier, quatschen, trinken etwas und spielen. Ich bin rundum zufrieden. Der Grund dafür ist hauptsächlich der kleine Zettel mit den paar Worten von daheim.

Donnerstag, 5.11.87 (25)

Heute fing alles etwas langsamer an, da der Wein, der gestern noch auf den Tisch kam, bei einigen doch Wirkung zeigte. Mir geht es gut. Ich habe nun endlich alle Aufräumungsarbeiten erledigen können, nur für den Tauchanzug fehlt noch ein vernünftiger Platz. Der Wind heult auch schon wieder recht kräftig, aber es ist nicht sehr kalt.
Vormittags beschäftigte ich mich mit den technischen Unterlagen für die Motoren und Generatoren. Es ist viel da, aber nur bezogen auf die Stückzahl. Alles 3- oder 4-fach, dafür fehlen einige Dinge. Da die Hersteller oft keine Angaben der Jahreszahl in den Unterlagen haben, ist es schwierig, sich das Neueste herauszusuchen. Außerdem sind immer noch Handeintragungen in den verschiedenen Exemplaren.
Das Mittagessen war ausgezeichnet. Es gab Kalbfleisch, sehr pikant zubereitet. Ich habe ordentlich zugeschlagen. Abends noch einmal, da gab es gebratenes Fleisch, die Reste vom Mittag, Salzkartoffeln und Erbsen.
Nachmittags wurde die Durchsicht am Generator D gemacht, Ölwechsel, Filterwechsel und Ventile einstellen. Es gab keine Probleme.
Vor dem Abendessen spielten Steffen, Hans und ich Tischtennis. Hat sehr viel Spaß gemacht.
Heute gehe ich mal früher schlafen, nicht nach 24 Uhr sondern um 22.30 Uhr.

Freitag, 6.11.87 (26)

Heute kam der erste Pinguin, ungewöhnlich früh für diese Gegend. Wir saßen gerade beim Kaffee, als es Pinguinalarm gegeben wurde. Bewaffnet mit allen greifbaren Fotoapparaten rannten wir in Richtung Oaseneingang. Alle Mann rutschten dann auf dem Bauch um den Burschen herum. Hoffentlich sind die Bilder was geworden.
Vormittags gab es nichts besonderes, nur Ölwechsel einschließlich Filter, Generator usw.. Das dauerte nicht allzu lange. Nach dem Mittagessen war ich mit Kurt in der Banja und habe auch gleich die Wäsche gewaschen.
Mir fiel dann noch etwas ein, was ich telegrafieren wollte, habe es dann aber wieder vergessen. Wird schon nicht so wichtig gewesen sein. Abends blieb ich in der Station. Steffen nahm die Telegramme an Oma und Kathrin mit.

Sonnabend, 7.11.87 (27)

Heute ist für die SU der 70. Jahrestag der Oktoberrevolution. Im Gegensatz zu uns nehmen die das sehr ernst und machen einen riesigen Feiertag daraus. Um 10 Uhr sollte es ein besonderes Frühstück geben. Das war der größte Reinfall, den man sich vorstellen kann, Milchsuppe und Käsestulle.
Wir gingen dann zur Station zurück. Kurze Zeit später bekamen wir dann wieder Besuch von den Indern. Wir unterhielten uns über alle möglichen Sachen. Ich soll unbedingt ihre Station besuchen. Auf dem Pochod wird es schon klappen.
Um 14 Uhr beginnt die Demonstration anlässlich des Feiertages. Wir müssen uns langsam auf den Weg machen.
Der Festakt selbst war für deutsche Verhältnisse von den Reden her normal. Es sprachen der sowjetische, der indische und deutsche Stationsleiter. Die Begeisterung der Leute ist für uns schwer verständlich, vielleicht sind wir etwas demonstrationsgeschädigt Nach den Reden gab es Salutschüsse und einen Umzug bzw. eine Demo zu einem nahegelegenen Hügel, auf dem ein ausgedientes Fahrzeug, ein Pinguin, der eine Antarktisdurchquerung mitgemacht hatte, als Denkmal stand. Nach weiteren Erinnerungsfotos war der Teil des Tages dann beendet.
Das anschließende Bankett mit Wodka und Wein hielt sich in Grenzen, sämtliches Fleisch war mit viel Knoblauch zubereitet worden. Die indische und deutsche Station erhielten je eine viereckige Torte, bestehend aus Blätterteigschichten und fetter Creme, die kaum Eigengeschmack hatte.
Nach dem Essen wurde gesungen. Es befanden sich offensichtlich verhinderte Opernstars unter den sowjetischen Genossen. Die Stimmung war gut, die Musik eben russisch.
Abwechslung gab es beim Tischtennis. Das interessanteste Match bestritten Steffen und ich gegen eine sowjetisch-indische Mannschaft. Wir gewannen 3:2, den letzten Satz mit 30:28. Ein harter Kampf, der viel Durst machte, den wir in der Station mit Tee löschten.
Den Abend beschlossen in der Station ein paar Spiele, Tee und Magazine.

Sonntag, 8.11.87 (28)

Langsam geht der erste Monat der Expedition zu Ende. Man hat sich an das Leben hier angepasst und es wird immer schwieriger, Besonderheiten zu finden, über die es zu berichten lohnt.
Heute Vormittag habe ich versucht, den Synchronkontakt der Kiew (6x6-Kamera) zu reparieren, bin aber nicht weit genug vorgedrungen. Ich werde es auch bleiben lassen, denn die Gefahr, etwas anderes, insbesondere den Verschluss, zu beschädigen, ist mir zu groß. Die Batterie vom Belichtungsmesser ist leer. Vielleicht kann Robby sie aufladen. Ansonsten muss Ingrid eine neue schicken. Inzwischen ist mir auch eingefallen, was ich telegrafieren wollte. Es ging um die Vollgesichtsmaske für den Taucheranzug. Kommt alles ins nächst Telegramm. Die Briefe müssten spätestens am Montag, d. h. morgen eintreffen, desgleichen die Glückwunschtelegramme. Ich nehme an, dass sich dann schon jemand melden wird. Ich werde dann am Ende der Woche mein nächstes schicken.
Vormittags waren noch die Inder hier. Es ging um fachliche Probleme. Reiner hat sich regelrecht versteckt, da er sich offensichtlich englisch nicht verständigen kann. Nachmittags habe ich dann den Pinguinfilm entwickelt. Scheint gut zu sein. Mal sehen, wann ich dazu komme, Probeabzüge zu machen.
Sonst gibt es nichts weiter. Ich werde mir wohl heute eine Flasche Bier von meiner Wochenration leisten.

Montag, 9.11.87 (29)

Heute gibt es viel Arbeit. Das Aufstehen viel etwas schwer, da ein paar, darunter auch ich, erst gegen 2 Uhr schlafen gingen. Es gab gestern Stationsübergabebier und einen Rest Rotwein. Es war zwar eine ganze Menge, blieb aber ohne Folgen.
Vormittags versuchten wir, einen Container samt Schlitten auszubuddeln. Es war ein sinnloses Unterfangen, da der Schnee hart wie Beton war. Wir hätten zwei Wochen gebraucht. Da der Container am Dienstag zu seinem neuen Standort geschleppt werden sollte, ließen wir uns von der sowjetischen Station eine Planierraupe kommen, die den meisten Schnee weggeschoben hat. Dabei haben wir dann gesehen, dass es per Hand eine Sisyphusarbeit gewesen wäre. Der Kollege schob uns auch gleich die Container frei, die wieder nach hause sollten. Selbst den freigeschobenen Schlitten konnte die ATT nur in mehreren Anläufen mit Gewalt losreißen.
Da das Wetter heute herrlich war, habe ich auch den ersten leichten Sonnenbrand im Gesicht erwischt. Man muss hier doch sehr vorsichtig sein. In der DES gab es nachts eine kleine Störung. Ein Panzerschlauch von der Kraftstoffrückführung war undicht geworden. Stand wahrscheinlich zu sehr unter Spannung. Hans hat nachts das Aggregat umgeschaltet. Morgens vor dem Frühstück haben wir den Schaden schnell repariert.
Die Magnetikhütte wurde abgebaut und umgesetzt.

Dienstag, 10.11.87 (30)

Heute hat Kathrin Geburtstag. Hoffentlich sind Telegramm und Blumen angekommen. Schade, dass ich nicht bei ihr sein kann.
Heute Vormittag fuhren Hans, Molo, Steffen und Reiner in Richtung Dommik ab (Das ist auch so ein russischer Begriff, der eine kleine Hütte bezeichnet. In diesem Fall eine alte Hütte, die einige Kilometer entfernt in der Oase stand, und als Übernachtungsmöglichkeit und Schutzhütte bei wissenschaftlichen Exkursionen diente). Sie nahmen den am Vortag ausgegrabenen Schlitten nebst Container mit. Dadurch ist es jetzt in der Station wesentlich ruhiger. Zum Mittagessen war ich nicht in der SU-Station, da einer in der Station bleiben musste. Es war noch ein Rest Champignonsuppe da, dazu zwei Stullen. Das reichte mir.
Ich hab mich dann noch abgemüht, am Aggregat D den Keilriemen nachzuspannen. Das hat mich alles so geärgert, dass ich mir einen zusätzlichen Halter für den Hakenschlüssel gebaut habe, mit dem die Schwungscheibe verstellt wird. Jetzt dürfte die Arbeit leichter sein.
Den Nachmittag verbrachte ich damit, aus den Unterlagen die wesentlichen Werte für die Motoren herauszusuchen. Ich habe zwar noch nicht alles zusammen, aber es sieht schon günstiger aus als zum Anfang.
Abends gab es wieder Kino, war schön albern. Irgend etwas mit Düsenjägern, Schleudersitzen und Fallschirm, natürlich auch wieder auf russisch. Dazu Schneesturm bis 30 m/s und dadurch kaum zehn Meter Sicht mit dem Rücken zum Wind, sonst weniger. Unser Container zitterte dabei schon. Er soll schon mal umgefallen sein.